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2017

Planpolitik oder wie in Brüssel ein Gesetz entsteht

Die Pressevertreter baten verschiedene Politiker und Lobbyisten zum Interview.

Was informelle Gespräche sind und wer sie führt, lernten die Schülerinnen und Schüler der Max-Eyth-Schule von Kilian Raiser.

Wie das Europaparlament überhaupt arbeitet, erklärte Konstantin Kaiser den Schülerinnen und Schülern.

Ganz schön anstrengend: Die Arbeit in den Ausschüssen fordert Konzentration und Durchhaltevermögen.

Max-Eyth-Schule bringt mit Planspiel die Prozesse in der EU an die Schülerinnen und Schüler

 

ALSFELD (pm). "Wir, die Mitglieder der Europäischen Kommission wollen folgende Gesetzt erlassen." - Dieses Vorhaben war der Auftakt zu einem lebhaften und hochinformativen Tag an der Max-Eyth-Schule, denn die die Mitglieder der Europäischen Kommission, wie die der Fraktionen des EU-Parlaments, der Lobbyisten und der internationalen Presse waren allesamt Schülerinnen und Schüler der Alsfelder Europaschule, die sich mit einem Planspiel auf den langen Weg der EU-Gesetzgebung begaben. Organisiert und durchgeführt wurde das Planspiel von der Gesellschaft "planpolitik", die mehr als 80 Szenarien für Planspiele zu den unterschiedlichsten Themenfeldern anbietet.
Die Max-Eyth-Schule hatte - da neben den Fachoberschülern im Bereich Informatik auch die Auszubildenden des 2. Lehrjahrs im Bereich Einzelhandel an dem Projekt teilnahmen - das Thema Lebensmittelkennzeichnung ausgewählt, griffig genug, um sich darunter etwas vorstellen zu können. Die EU-Kommission der Schule hatte sich schon im Vorfeld online mit diesem Gebiet auseinandergesetzt und einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der nun in den Ausschüssen diskutiert wurde, um ihn schließlich dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. "Die Vorbereitung des Gesetzestextes im Vorfeld des Projekttages online zu machen, ist ein absolutes Novum, das wir gemeinsam mit planpolitik entwickelt und als Pilotprojekt erstmals umgesetzt haben", erläutert Stephan Hanisch, an der Max-Eyth-Schule gemeinsam mit Esther Krieg federführend für diese Aktion verantwortlich. Möglich wurde sie durch Mittel der Hessischen Europaschulen, wie Hanisch ausführte.
Konstantin Kaiser und Kilian Raiser von planpolitik begleiteten den Tag, der zunächst die informellen Gespräche zwischen Parteien und Lobbyisten abbildete. Den Schülerinnen und Schülern wurde deutlich, wie jede Interessensvertretung versucht, auf die Politiker Einfluss zu nehmen, wie diese wiederum auf die NGOs und andere Gruppierungen angewiesen sind, um relevante Informationen zu bekommen, und wie die politischen Parteien untereinander für ihr jeweiliges Anliegen um Unterstützung werben. "Und genau darum geht es in diesem Planspiel", erläuterte Kilian Raiser: "Wenn wir in den Nachrichten hören, dass die EU ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, dann sagt das noch nichts über den langen Weg dorthin aus. Von den informellen Gesprächen, die letztendlich allen Ausschüssen und Entscheidungen vorausgehen, erfährt der Bürger so gut wie nichts."
Die vorgelegten Gesetzesentwürfe beschäftigten sich mit den Fragen der Kennzeichnung von genmanipulierten Lebensmitteln, der Einführung einer Lebensmittelampel, verschiedenen Angaben zur Herkunft des Produkts und dem Einsatz unterschiedlicher Siegel um Qualitätsstandards zu dokumentieren. Die Schülerinnen und Schüler nahmen dabei unterschiedliche Rollen ein: Vertreter der europäischen konservativen und damit wirtschaftsnahen Parteien diskutierten mit der Gruppe der europäischen Grünen oder der europäischen Linken. NGOs wie Foodwatch oder Fooddrink versuchten ihrerseits Einfluss zu nehmen. Die internationale Presse beobachtete all das und berichtete in zwei Nachrichtensendungen über den Verlauf der Verhandlungen, die Meinungsbildung und Hintergründe. Die Rollen waren zufällig vergeben, sodass einige der jungen Erwachsenen, die an dem Spiel teilnahmen, auch Positionen vertreten mussten, die nicht unbedingt ihre eigenen waren. Sie wurden beispielsweise zu "Marco Affronte" von den italienischen Grünen oder zu "Pilar Ayuso" von der spanischen EVP. So hatte das Planspiel auch den Effekt, sich in die Rolle anderer zu finden, Argumentationstechniken zu üben, ebenso wie Diskussionstechniken. "Da kommt inhaltlich und auch von der Herangehensweise her viel zusammen", bestätigt Hanisch. Doch genau deshalb bietet diese Herangehensweise auch gute, nachhaltige Effekte: "Was man so durchgespielt hat und womit man sich so intensiv auseinandergesetzt hat, bleibt einfach besser hängen."
Nach den informellen Gesprächen gingen die Parteienvertreter in die Ausschusssitzungen. Hier dürfen die Lobbyisten zwar dabei sein, sich aber nur nach Meldung äußern und natürlich nicht mit abstimmen. Wort für Wort arbeiteten sich die Ausschussmitglieder an die Gesetzesentwürfe heran: Wo können sie mitgehen, was kommt gar nicht in Frage? "Man kann dadurch genau verfolgen, wie schwierig es ist, ein Gesetz auf dieser Ebene auf den Weg zu bringen. Es geht ja erstmal gar nicht um die Abstimmung, sondern darum untereinander einen Konsens zu finden", unterstreicht Hanisch, dem es wichtig ist, den Schülerinnen und Schülern die Abläufe in der EU beispielhaft aufzuzeigen.
Die Nachrichtensendungen mit verschiedenen Statements von Beteiligten und Passanten sowie mit Hintergrundinformationen sorgten zwischen den einzelnen Tagesordnungspunkten für ein wenig Abwechslung, verdeutlichen aber auch die Rolle der Medien, die - obwohl sie objektiv sein sollten - dennoch einer Tendenz folgen, was an ihren Interviews, Kommentaren und Fragen recht deutlich wurde.
Mehrere Gesprächsrunden waren nötig, bis schließlich am Endes des Tages der Gesetzesentwurf im Konsens mit allen Beteiligten verabschiedet wurde und an das EU-Parlament zur Verabschiedung weitergeleitet werden konnte.
 (Wie auch immer:) Eine spannende Zeit vom ersten Textentwurf bis zu diesem Ergebnis lag hinter den Schülerinnen und Schüler, die nun eine klarere Vorstellung davon haben, wie in Brüssel regiert wird und dass Politik in der Regel einen sehr, sehr langen Atem braucht.